Vorbild-Dokumentation – Albatros MZ2

Die deutschen Luftstreitkräfte waren eine Spätgeburt. Der Kaiser und ein Großteil des aktiven Militärs in seinem Gefolge hatten viel zu lange an die Überlegenheit der Luftschiffe geglaubt. Trotzdem wurde die Luftwaffe ein prächtiges Baby: Ein britischer Franzose übernahm unbewusst die Rolle des Paten. Eine der zu dieser Zeit wie Pilze aus dem Boden schießenden Flugzeugfabriken, die Albatros-Werke GmbH, wurde 1913 mit 86 für die preußische Heeresverwaltung hergestellten Flugmaschinen größter Lieferant. Diese Spitzenstellung konnte das Unternehmen dank des traditionell guten Kontakts mit den Militärs bis Ende des Ersten Weltkriegs unangefochten halten. Vom Kriegsausbruch bis 1918 lieferte alleine das Stammwerk auf der Johannisthaler Seite des gleichnamigen Flugplatzes 6.242 Maschinen aus. Das waren 602 Flugzeuge mehr als bei der LVG – dem schärfsten Konkurrenten – und jeweils etwa doppelt so viele wie bei so namhaften Firmen wie Fokker und Rumpler. Albatros-Zweigwerke lieferten weitere 1.840 Stück. Die Gründe für eine offensichtliche Verpflichtung der Militärverwaltung diesem Unternehmen gegenüber lagen damals noch gar nicht so weit zurück und fußten auf der weiten Kreisen unverständlichen Haltung des deutschen Kaiserhauses Luftfahrtfragen gegenüber. Fliegen statt Fahren Kaiser Wilhelm II. wurde nach anfänglicher Skepsis ein Bewunderer der Arbeiten des Grafen Zeppelin und kompromissloser Befürworter des Fahrens mit Luftfahrzeugen „leichter als Luft“ – Ballone, unstarre und starre Luft­schiffe. Die Ausstattung der Marine und der Luftschiffertruppe mit Zeppelinen war für ihn Garant der deutschen Überlegen­heit am Himmel. Möglicherweise hätte es gestimmt, wäre nicht in der Zwischenzeit das Flugzeug erfunden worden. Klein und wendig entwickelte es sich voraussehbar zum tödlichen Feind der Riesen. Doch selbst Ende 1909 sah der Kaiser das Fliegen mit „schweren“ Flugzeugen immer noch als „Gott versuchen“ an. Das unterstreicht, wie schwierig es damals für den Biologen Dr. Walther Huth gewesen sein muss, Begründer der Militärfliegerei in Deutschland zu werden. Am 20. Dezember 1909 hatte er die „Pilot“ Gesellschaft mbH zum Bau von Flugmaschinen „schwerer als Luft“ ins Leben gerufen. Nur neun Tage später ließ er sie in das Handels­register Berlin eintragen – als Albatros-Werke GmbH. Den Namen Albatros hatte er bewusst gewählt, weil dieser Seevogel ihm aus seinen naturwissenschaftlichen Studien als besonders sturmfest bekannt war. Denn stürmisch war es hergegangen, als er am 02. Oktober 1909 dem Kriegsministerium gemeldet hatte: „Einen zweisitzigen französischen Farman’schen Flugapparat neuester Konstruktion angeschafft zu haben, den er in absehbarer Zeit zusammen mit einem Fluglehrer dem Militär für eine Erprobung zur Verfügung stellen könne.“ Eines der preußischen Ministerien riet der Familie Huth daraufhin, ihn unter Vormundschaft zu stellen: „Ein solcher Gründer gehöre ins Irrenhaus!“ Doch Huth leistete weiterhin die Pionierarbeit, die eigentlich Sache des Reichs gewesen wäre, hätte der Reichstag sich zur Bewilligung eines Luftfahrt-Etats durchringen können. Aber nach langwierigen Verhandlungen mit der Militärbehörde durfte sich Huth im März 1910 doch verpflichten, ihr ohne jede Gegenleistung seinen Farman-Doppeldecker einschließlich eines Fluglehrers zu leihen. So konnten durch ziviles Engagement zwischen Juli und Ende November 1910 unfallfrei die ersten acht Offiziere zu Militär-Flugzeug­lehrern der preußischen Heeresverwaltung ausgebildet werden. Als die Militärs dann am 18. Dezember 1910 den bisher unentgeltlich benutzten Original-Farman auch noch käuflich erwarben, war diese als B1 gekennzeichnete Maschine nicht nur das erste deutsche Militärflugzeug, sondern das Datum de facto der Gründungstag der deutschen Luftstreitkräfte. Grund genug, für die Folgezeit Dr. Huth mit seinen Albatros-Werken zu danken. Bereits am 23. Januar 1911 übernahm das Heer von sieben bestellten Farman-Nachbauten die erste Maschine. Ihre Typenbe­zeichnung lautete Albatros MZ 2 und ihre Kennung B2. Farman als Vorbild Viele sahen Anfang des letzten Jahrhunderts Frankreich als führende Nation der Luftfahrt und hielten Paris für die Metropole der Fliegerei. Dieser Ruf begründete sich hauptsächlich auf die zahlreichen historischen Starts von Objekten „leichter als Luft“, also Ballonen und Luftschiffen. Aber auch die französischen Aviatik-Pioniere mit ihren Geräten „schwerer als Luft“ hatten es geschickt verstanden, sich und ihre frühen Versuche mit großer Wirkung in der Öffentlichkeit in Szene zu setzen. Alfred Leblanc, Landsmann und profunder Kenner der zeitgenössischen Luftfahrt, verkündete 1905 stolz und glaubend: „Alle Franzosen haben die Fliegerei im Blut. Ausländer werden niemals mit unseren Fliegern gleichziehen können.“ Er irrte. Der reale Motorflug war in den Vereinigten Staaten von Amerika erfunden worden. Und als die Gebrüder Wright – ohne einen Tropfen französischen Bluts in ihren Adern – 1908 mit ihrem Fluggerät in Frankreich flogen, hatten die Franzosen nichts dagegenzusetzen, was auch nur annähernd so leistungsfähig und so gut steuerbar gewesen wäre. Deshalb glaubten die Wrights, die Europäer würden erst in fünf Jahren ihren Standard erreichen. Aber auch sie irrten. Bereits ein Jahr vor ihrem Kommen waren bei Paris Werkstätten entstanden, in denen die Gebrüder Voisin kommerziell Flugmaschinen für Jedermann herstellten. Die Kastendrachen-ähnliche Anordnung von Trag- und hinteren Leitwerksflächen konnte die unverkennbar Wrightsche Grundbauart nicht vertuschen, wenn auch die Flächenverwindung fehlte, die von den Wrights patentiert war. Einer der ersten Käufer wurde der Pilot Henri Farman, ein kaum noch englisch sprechender Sohn begüterter britischer Eltern, die in Frankreich lebten. Er ließ sich später naturalisieren und wurde Held der Grand Nation, als er mit diesem Apparat einige Rekorde offiziell und prämienreich erflog. Den Wrights waren diese Leistungen zwar schon Jahre zuvor gelungen, aber eben nur privat. Farman verbesserte den Voisin ständig. Er brachte an den äußeren Flügelenden waagerechte Klappen an, die – durch einen Fusshebel betätigt – für Stabilität um die Längsachse sorgen sollten, aber im Prinzip die Grundform der auch heute noch üblichen Querruder waren. Zudem schaffte er die vom Kasten­drachen übernommenen, bespannten senkrechten Ver­­bindungen zwischen Ober- und Unterflügel schon bald ab, da sie sich bei Seitenwind als sehr störend erwiesen. Globale „Boxkites“ Serienreife erreichte Henri Farman mit der Farman III, dem 10 Meter (m) spannenden und 12 m langen Doppel­decker mit 50 m² tragender Fläche. Die maximale Startmasse von 620 Kilogramm (kg) trieb ein 50 PS Gnôme-Umlauf-Sternmotor über eine Druck-Luftschraube an. Er war zu einer offenen Gitterrumpfkonstruktion abgespeckt, hatte aber weiterhin vorne liegende, jetzt jedoch einteilige Höhenruder und zwei Seitenruder im Heck. Andererseits besaß er bereits die noch heute übliche Betätigung der Seitenruder durch Fußpedalen, die nach wie vor – da nicht sinnfällig – immer noch als Fehler angesehen wird. Echte Querruder an allen vier äußeren Flügelenden ­brachten ihn von Wright weg, zusätzliche Kufen an den Rädern wieder näher. Trotz seines schlichten, fast primitiven Aussehens wurde der Farman III wegen der stimmigen Gesamtkonzeption eine der richtungsweisenden Konstruktionen in der Flugzeug-Entwicklung und von vielen Konstrukteuren nachgeahmt – darunter dem späteren deutschen Flugzeugindustriellen Ernst Heinkel. Firmen buhlten um die Nachbaurechte. Doch der erste Betrieb, der den Farman III schamlos bis ins Detail genau und zumeist mit dem gleichen 50 PS Gnôme für die Serienfertigung kopierte, war eins der gleich vier „Bristol“-Luftfahrtunternehmen, die Sir George White als britischer Firmenrechtler am 19. Februar 1910 gegründet hatte. Von der inoffiziell als Bristol „Boxkite“ bekannten Maschine wurden insgesamt 76 gebaut. Für die letzten vier erfolgte der Auftrag erst im September 1914. Exporte gingen nach Russland, Schweden, Südafrika, Indien, Spanien, Bulgarien und Australien, wo eine der Drahtverhaue noch bis Oktober 1915 flog. Zwei Exemplare kamen auch nach Deutschland, eins davon zum Bristol-Zweigwerk in Halberstadt – Deutsche Bristol. Berechtigte Lizenzforderungen von Farman lehnte Bristol mit Hinweis auf die Verwendung verbesserter Beschläge und einer besseren Bauqualität ab. Erster deutscher und korrekt zahlender Lizenznehmer war die am 10. Dezember 1909 im elsässischen Mülhausen vom Fahrrad- und Automobil-Fabrikanten George Chatel gegründete Aviatik GmbH, ab 1911 Teil der Automobil und Aviatik AG, die 1910 zwölf, 1911 bereits 20 und 1912 schließlich 33 ständig verbesserte Farman III baute, von denen die preußische Heeresverwaltung 1911 zwei übernahm. Die Albatros-Werke GmbH, die sich an der Peripherie Berlins auf der Namensgeberseite des Flug­platzes Johannisthal zwischen den bis 1920 selbstständigen brandenburgischen Gemeinden Johannesthal und Adlershof etabliert hatten, erhielten ebenfalls noch 1910 einen Lizenzvertrag. Von Farman zu Albatros Zur gleichen Zeit, als das Albatros-Konstruktionsbüro an einer leistungsfähigeren Version der Farman III arbeitete, lief auf dem Exerzierplatz in Döberitz die Schulung der ersten Offiziere auf dem Original-Farman. Unter dem geheimnisvollen Decknamen Dr. Brück fungierte der in Bayern geborene Ingenieur Simon Brunnhuber als Zivillehrer des ersten militärischen Fliegerstamms. Der Chauffeur von Dr. Huth hatte auf dessen Kosten in Reims-Mourmelon bei Farman das Fliegen erlernt und am 06. August 1910 vom Deutschen Luftfahrt-Verband den Pilotenschein Nummer 20 erhalten. Brunnhuber sorgte bereits am 07. Dezember 1910 für Aufmerksamkeit, als er mit dem Farman vier Passagiere fünf Kilometer weit beförderte; ein deutscher Rekord. Bei der aus diesem Farman abgeleiteten verbesserten Albatros MZ 2 erhielt das obere Tragdeck eine größere Spannweite und vier Querruder. Für die zwei hintereinander sitzenden Insassen wurde eine flache Gondel entwickelt und beim Antrieb auf einen Umlaufmotor verzichtet. Stattdessen kam ein 100-PS-Standmotor von Argus zum Einsatz. Die Argus-Motoren-Gesellschaft war 1906 von Henri Jeannin in Berlin für den Bau von Automobilen und Bootsmotoren gegründet worden, fertigte aber schon 1906 leichtere Triebwerke für Lenkluftschiffe. 1912 rüstete sie etwa 90 Prozent aller deutschen Flugzeuge mit Triebwerken aus. Der in die MZ 2 eingebaute Motor, ein stehender Vierzylinder mit Wasserkühlung, erzielte – weiterentwickelt – beim ersten Kaiserpreis-Wettbewerb 1913 den fünften Platz. Mit der Einführung der Albatros MZ 2 konnte die Pilotenausbildung beschleunigt werden. Immer mehr Offiziere erhielten ein von der Versuchsabteilung der Verkehrstruppen ausgestelltes Zeugnis, das sie als voll ausgebildete Militärpiloten auswies. Dafür hatten sie zwei Prüfungen bestehen müssen. Das waren einmal mindestens zwei Flüge als Rundkurs von fünf Kilometer Länge ohne Bodenberührung mit jeweiliger Landung und ein Höhenflug von mindestens 50 m über Grund. Die Zweite bestand aus einer Ziellandung ohne Motorhilfe und einen Stundenflug wiederum mindestens 50 m hoch über Grund. Mit dem Nachweis der genauen Kenntnis des eingebauten Motors waren sie reif für erste Manöver­einsätze. Doch die sehr technisch aussehenden offenen „Drahtkommoden“ veralteten sehr schnell. Bei den deutschen Militärinstanzen waren schon bald elegantere Maschinen in Taubenform Favorit. Anatomie Der MZ 2 basiert auf der französischen Farman III, von der er sich hauptsächlich durch einen Oberflügel mit vergrößerter Spannweite – 13,20 m statt knapp 10 m – und zwei weiteren Querrudern (insgesamt vier), durch eine zusätzliche kleine Gondel für die zwei Insassen und durch das Triebwerk unterscheidet. Die Struktur ist nur im Detail verändert. Der nun dreieinhalbstielige Doppel­decker besitzt Flächen mit einem stark gewölbten, dünnen Profil und im Unterflügel einfachen Querrudern. Der Aufbau der zweiholmigen Flügel besteht hauptsächlich aus Holz, besitzt jedoch Abstandshalter und Drahtaus­kreuzungen aus Stahl. Die Stoffbespannung weist teilweise Taschen zum Einstecken der Rippen auf. Die ­insgesamt sieben Strebenpaare sind untereinander und seitlich ausgekreuzt. Der Rumpf ist eine offene Gitterkonstruktion aus vier hölzernen Längsgurten und Querhölzern, seitlich aus­gekreuzt, und zum Heck hin etwas konisch zulaufend. Das Heck besteht aus zwei waagerechten Flächen mit gewölbtem, dünnem Profil in Doppeldecker-Anordnung. An der Hinterkante sitzen senkrecht dazwischen drei ungedämpfte Seitenruder. Das einteilige Höhenruder wird im Bug von der Rumpfstruktur getragen. Die Besatzung sitzt hintereinander in einer flachen Gondel. Das Fahr­werks-Gestell besteht aus Stahlrohren und ist an den Anschluss- und Verbindungsstellen miteinander verschweißt. Es nimmt zwei lange Schlittenkufen auf, die zwei an Gummibändern befestigte Achsen für je ein Räderpaar tragen. Als Triebwerk dient ein kopfgesteuerter, wassergekühlter stehender Vierzylinder-Argus-Motor auf dem unteren Flügel hinter der Gondel mit Kühlern neben der Gondel. Er treibt eine zweiflügelige Druck-Luftschraube an. Der Kraftstoff befindet sich in zwei zylindrischen Behältern beiderseits des Triebwerks unter dem Oberflügel.