Motorsturz und Seitenzug

In nahezu jeder Flugmodell-Bauanleitung wird mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass das Modell sorgfältig auf Symmetrie zu prüfen sei. Und tatsächlich können Asymmetrien die Flugeigenschaften bisweilen sehr negativ beeinflussen. Doch warum wird dann der Motor in der Regel tatsächlich um einige Grad schief eingebaut?Man spricht in diesem Zusammenhang von Seitenzug und Motorsturz. Um diese scheinbar merkwürdige, aber allgemein übliche Methode des Motoreinbaus zu verstehen, müssen wir zunächst zwei physikalische Begriffe näher beleuchten: Kraftkomponenten und Drehmoment. Komponenten Zeigt eine Kraft in eine beliebige Richtung im Raum, so kann man sie in zwei Anteile zerlegen: Einen horizontalen und einen vertikalen Anteil, wie in Abbildung 2 dargestellt. Die Vorstellung dabei ist, dass jede beliebige Kraft aus zwei Kräften zusammengesetzt werden kann. Wenn man, zum Beispiel mit einem angebundenen Seil, eine Kraft schräg auf eine Masse ausübt, so könnte man entsprechend auch exakt horizontal und zudem vertikal mit genau der richtigen Stärke ziehen. Für die Masse selbst bestünde hier kein Unterschied. Man nennt dies eine vektorielle Zerlegung der Kraft. Drehmoment Der Begriff des Drehmoments ist zwar allgemein geläufig, dennoch soll er hier nochmals kurz erläutert werden. Als ein Drehmoment bezeichnet man den Effekt, der es ermöglicht, eine Masse in Drehung zu versetzen. Ein Drehmoment kann erzeugt werden, wenn eine Kraft über einen Hebel auf einen Drehpunkt wirkt, wie in Abbildung 3 exemplarisch dargestellt. Ein klassisches Beispiel für ein System, das nach ­dieser Definition aus einer Kraft ein Drehmoment macht, ist eine Kurbel. Am Kurbelgriff kann eine Kraft eingebracht werden, die über den Hebel der Kurbel zu einem Drehmoment führt. Vor dem Hintergrund dieser beiden Begriffe kann man nun die schräge Einbaumethode von Motoren nachvollziehen. Zunächst soll der einfacher zu verstehende Seitenzug betrachtet werden. Seitenzug Seitenzug bedeutet, dass der Motor etwas zu Seite gekippt ist. Der Grund ist der Luftstrom, der durch den Propeller erzeugt wird. Der Propeller erzeugt dabei nicht nur einen Luftstrom nach hinten, der aufgrund der Impulserhaltung einen Antriebsimpuls auf das Modell zu übertragen vermag, sondern er versetzt diesen Luftstrom auch in Drehung. Die Ursache hierfür liegt im Einstellwinkel des Propellerblatts. Ein Propellerblatt wirkt wie eine rotierende Tragfläche. Um ausreichend Vortrieb zu erzeugen, muss das Propellerblatt stark angestellt werden und dies um so mehr, je schneller das Modell fliegt. Ist nun ein Propellerblatt um einen be­­stimmten Winkel angestellt, so wirkt der Auftriebsvektor nicht nach vorne, sondern entsprechend der Blattanstellung etwas schief. Die Blattanstellung bedingt aber, dass der er­­zeugte Luftstrom selbst eine schraubenförmige Verwindung erhält. Grundsätzlich ist dies nicht schlimm.Trifft jedoch ein solcher in sich verwundener Luftstrahl auf das Seitenleit­werk, so erzeugt der Luftstrom einen Anströmwinkel am Seiten­leitwerk – siehe Abbildung 4. Auftrieb macht sich bemerkbar. Die Folge ist, dass das Modell mit gerade ein­­gebautem Motor eine gewisse Schiebeneigung aufweist, was aerodynamisch schlecht ist. Diesen Effekt kann man auf zweierlei Arten zumindest ein wenig kompensieren. Zum einen kann man das Seiten­leit­werk einfach um den fraglichen Winkel schräg einbauen, sodass der ankommende, verdrehte Luftstrom im Mittel einen Anströmwinkel von Null Grad und somit keinen Auf­trieb mehr hat, was Abbildung 5 beispielhaft zeigt. Dies ist jedoch eine nur schwer veränderbare Lösung und daher im Modellflug unüblich. Zum anderen kann man den Motor, der ja ursächlich für diesen Effekt verantwortlich ist, in der horizon­­talen Ebene leicht verkippt einbauen. Somit wird die ursprünglich genau nach vorne zeigende Kraft in zwei Komponenten zerlegt. Zum einen in einen Anteil in der Flugrichtung, zum anderen in einen Anteil, der 90 Grad zur Seite zeigt. Der mit Seitenzug eingebaute Propeller erzeugt einen senkrecht zur Flugrichtung stehenden, seitlichen Kraftanteil. Über den Abstand des Motors zum Schwerpunkt des Modells entsteht daher ein Drehmoment; siehe Abbildung 6. Dieses Drehmoment kann den Auftriebseffekt am Seiten­leitwerk zumindest in Näherung, das bedeutet, für eine bestimmte Geschwindigkeit, kompensieren. Für andere Fluggeschwindigkeiten ist die Kompensation nicht ganz vollständig. Das Schieben wird aber in jedem Fall verringert. Diese Lösung des Problems wird überwiegend bei Flug­modellen vorgezogen, weil es oft einfacher ist, einen Motor schräg einzubauen als ein Seitenleitwerk. Beim mann­tragenden Fliegen hingegen wird oft das schräg sitzende Seitenleitwerk gewählt. Eine Ausnahme stellen Motorsegler dar. Sie müssen aerodynamisch vollkommen symmetrisch gebaut sein, da sie gegebenenfalls auch im reinen Segelflug betrieben werden. Dort findet sich infolgedessen auch wieder die Lösung, den Motor schräg einzubauen. Die gleiche Problematik ergibt sich grundsätzlich auch am Höhenleitwerk. Wegen der in der Regel symmetrischen Konstruktion heben sich die Effekte auf beiden Seiten jedoch gegenseitig auf. Das Gleiche gilt, wenn ein nach oben wie unten nahezu symmetrisches Seitenleitwerk ­existiert. Dort wäre ein Seitenzug ebenfalls unnötig. Es ist nun leicht einsehbar, dass bei mehrmotorigen ­Flug­zeugen mit einer geraden Anzahl von Motoren kein Seitenzug nötig ist, wenn beide Propeller gegensinnig drehen. Zum einen heben sich beide Effekte auf. Zum anderen treffen die Luftströmungen beider Propeller das Leitwerk gar nicht; das ist höchstens bei Doppelleitwerken der Fall. Motorsturz Etwas schwerer zu verstehen ist der Motorsturz. Das liegt daran, dass es mehrere Effekte gibt, die mit ihm kompensiert werden sollen. Diese Effekte sind unabhängig voneinander und überlagern sich ungestört. Damit kann man jeden einzeln betrachten. Oben, Mitte, unten Effekt 1: Widerstand der Tragfläche Jede Tragfläche erzeugt, neben einem Auftrieb, automatisch auch Widerstand. Sie bremst das Flugzeug also während des Flugs ein wenig, wohingegen ein Motor natürlich das genaue Gegenteil tut. Dies hat für manche Flugzeug­kon­struktionen Konsequenzen. Im einfachsten Fall liegt die Tragfläche mit der Motorachse genau auf einer Höhe – siehe Abbildung 7a. Widerstandskraft und Antriebskraft liegen somit auf der gleichen Linie. Ein Motorsturz ist dabei un­­nötig. Eine solche Konstruktion ist frei von Momenten. Ganz anders sieht dies jedoch beim Hoch- oder Schulter­decker aus. Hier gibt es einen Abstand zwischen beiden Kräften – dargestellt in Abbildung 7b. In der Folge wird also ein aufrichtendes Drehmoment um den Schwerpunkt herum erzeugt. Dies verhindert man, indem der Motor etwas nach unten gekippt wird. Mittels der Methode der Vektorzer­legung kann man nun sehen, dass durch diese Maßnahme eine senkrecht nach unten wirkende Kraft erzeugt wird. Sie hat einen gewissen Abstand zum Schwerpunkt und erzeugt damit ein zusätzliches kompensierendes Drehmoment im Schwerpunkt – vergleiche dazu Abbildung 8. Die aufrichtende Wirkung der Tragfläche wird damit kompensiert. Bei einem Tiefdecker hingegen tritt der genau umgekehrte Effekt auf. Es entsteht ein Drehmoment, dass den An­­stell­winkel verkleinert. Das würde einen Motorsturz erzeugen, der dazu führt, dass die Motorachse nach oben gekippt ­werden müsste. Üblicherweise wird das jedoch nicht so gemacht. Der Grund muss in weiteren Effekten liegen, die dies überlagern und in der Summe doch einen nach unten gerichteten Sturz erfordern. Kippen tut gut Effekt 2: Der Anstellwinkel Je nach Modellkonstruktion kann es passieren, dass eine gedachte Mittellinie des Rumpfs bei optimalem Anstell­winkel der Tragflächen – bestes Gleiten oder geringstes Sinken, je nach Auslegung – nicht horizontal liegt, sondern ebenfalls leicht angestellt ist. Würde man den Motor in die gleiche Richtung wie die gedachte Mittellinie einbauen, so würde er mit dem gleichen Winkel wie der des leicht angestellten Rumpfs nach oben weisen. Somit entsteht eine Auftriebskomponente und über den Abstand zum Schwer­punkt ein aufrichtendes Drehmoment, was aber jeweils in der Regel unerwünscht ist. Daher kann der Motor um den Betrag des Anstellwinkels nach unten gekippt werden und zieht damit das Modell nahezu Moment-frei nach vorne – dargestellt in Abbildung 9. Eine Ausnahme von dieser Vorgehensweise findet man ­bisweilen bei Elektroseglern. Hier kompensiert man das ­störende aufrichtende Moment durch Stützen mit dem Höhen­leitwerk; Abbildung 10. Die vertikale Kraftkomponente hingegen nutzt man zur Unterstützung des Tragflächenauf­triebs zum Steigen. Da das Höhenleitwerk nun „stützt“, erzeugt es selbst einen geringen Auftrieb. Das beeinflusst die Steig­leistung des Modells ebenfalls positiv, solange das Stützen nicht zu stark ausfällt und das Höhenleitwerk damit einen zu großen, induzierten Widerstand bekäme. Speed Effekt 3: Die Fluggeschwindigkeit Eine Tragfläche erzeugt Auftrieb in Abhängigkeit mehrerer Parameter. Einer davon ist der Anstellwinkel, ein anderer die Fluggeschwindigkeit. Dabei gilt, dass beispielsweise bei einer Verdopplung der Geschwindigkeit die Auftriebskraft vervierfacht wird. Im Gegensatz dazu verdoppelt sich der Auftrieb lediglich bei einer Verdopplung des Anstellwinkels. Gerade bei Motormodellen, die in einem weiteren Geschwin­digkeitsbereich betrieben werden sollen, kann dies zu unerwünschten Effekten führen. Üblicherweise möchte man, dass sich das Modell bei verschiedenen Geschwindigkeiten neutral verhält und somit auch seine momentane Flug­höhe beibehält. Wenn jedoch der Auftrieb von eben dieser Ge­schwindigkeit abhängt, so wird das Modell bei einer Ge­­schwindigkeitserhöhung unweigerlich in einen Steigflug übergehen, weil die nun zunehmende Auftriebskraft un­­weigerlich zum Höhengewinn beiträgt. Bei Motormodellen erzeugt die gewählte Motorleistung unterschiedliche Geschwindigkeiten. Daher liegt es nahe, eine Kompensation durch eben den Motor zu versuchen. Das geschieht abermals, indem der Motor leicht nach unten gekippt wird. Dadurch kommt es nun zu zweierlei Effekten. Erstens entsteht wieder eine nach unten gerichtete Kraft­kom­­ponente, die dem erhöhten Auftrieb entgegenwirkt. Zweitens erzeugt eben diese Komponente wieder ein Drehmoment, das den Anstellwinkel des Modells verringert. Dies geschieht so lange, bis das nun auch verändert angeströmte Höhenleit­werk ein ausreichendes Gegenmoment erzeugt. In der Folge hat sich jedoch ein neuer, geringerer Anstellwinkel eingestellt und die Tragflächen erzeugen einen geringeren Auftrieb. Ist der Motorsturz nun ausreichend auf das Zusammenspiel zwischen Tragfläche und Höhenleitwerk ausgerichtet, so kann das Modell tatsächlich bei verschiedenen Geschwin­digkeiten jeweils seine Flughöhe beibehalten, ohne dass der Pilot trimmen müsste. Dieser dritte Effekt ist in der Regel der dominante. Er führt dazu, dass selbst bei einem Tiefdecker ein nach unten ge­­kippter Motoreinbau nötig ist, auch wenn der erste Effekt durch den Tragflächenwiderstand dagegenwirkt. Schräg macht Sinn Der Motorsturz und der Seitenzug sind Einbauparameter, die ihren Grund in den Strömungsverhältnissen des Flug­zeugs und den Anforderungen seitens des Piloten haben. Oft handelt es sich bei der Verkippung jeweils um nur wenige Grad. Bisher musste der genaue Betrag erflogen werden. Dies ist auch praktikabel, da selbst ein grob falscher Wert nicht zu unsteuerbarem Verhalten führt. In Zukunft ist jedoch ge­­plant, diese Problematik auch rechnerisch zum Beispiel in der Aerodynamik-Software FLZ_Vortex von Frank Ranis (www.flz-vortex.de) mit zu erfassen. Dies würde es ermöglichen, die korrekten Werte schon vor dem Erstflug einstellen zu können.