Leitstern

Am 23. Dezember 2011 hob Axel Lange mit seiner neu entwickelten Antares 23E im Eigenstart vom Flugplatz in Zweibrücken zum Erstflug ab. Der Testpilot und Firmenchef der Lange Aviation GmbH zeigte sich anschließend sehr zufrieden mit der hervorragenden Wendigkeit des 23-Meter-Seglers, und prophezeite: „Wir werden mit dem Flieger viel Spaß haben“. Ob Lange es als Weihnachtsgeschenk an sich selbst geplant hatte, oder ob einfach nur das Wetter gerade passte, ist nicht ganz klar. Doch das Segelflugzeugmuster der offenen Klasse, das bereits im April 2011 auf der Aero in Friedrichshafen vorgestellt worden war, ist der vorläufige Endpunkt einer Entwicklungsreihe von Segelflugzeugen mit ausklappbarem Elektroantrieb. Es stützt sich auf dieselbe Tragflügelauslegung, die auch bei der Quintus M von Schempp-Hirth verwendet wird. Dieses Muster ist allerdings mit einem ausklappbaren Verbrennungsmotor ausgestattet und erlebte seinen Erststart interessanterweise zeitgleich, wenn auch von einer Jodel am Schleppseil in die Höhe gezogen. Das konnte nicht so bleiben Nein, der Elektroantrieb stand eher noch ganz unten auf der Liste, als der Luftfahrtingenieur Axel Lange in den Jahren 1990 bis 1996 beim Luftfahrtunternehmen Glaser-Dirks – aus der später DG-Flugzeugbau hervorging – der Frage nachgehen sollte, wie man zu einem eigenstartfähigen Segler kommen könnte. Die damals bevorzugt eingesetzten Rotax-Motoren waren wegen ausgesprochen ungenügender Zuverlässigkeit sowie großer Handhabungsprobleme in Verruf geraten und hatten die Firma in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht. Das konnte nicht so bleiben. Der störanfällige und wenig bedienungssichere Zweitakter sollte durch ein besseres Antriebssystem ersetzt werden. Anfangs, so gesteht Lange, war es eher privates Interesse an dem neuen Antriebskonzept, von dem man zwar wusste, dass es sauber und leise arbeiten würde, doch verbot das beinahe sprichwörtliche Gewichtsproblem der Batterien jede ernsthafte Erwägung dieser Alternative. Auch waren leistungsfähige und gleichzeitig leichte Antriebsmotoren dem Erprobungsstadium noch kaum entwachsen. Axel Lange wandte sich damals an die Universität Braunschweig, bei der unter Leitung von Professor Dr. Herbert Weh die Eignung von Transversalflussmaschinen für diese speziellen Zwecke untersucht wurden. An der Aufgabe dran war man auch bei der Höheren Technischen Lehranstalt im schweizerischen Biel (HTL Biel), wo man bereits einen hocheffizienten Antrieb mit 4,5 Kilowatt (kW) für die in den 1980er-Jahren gestartete „Tour de Sol“ entwickelt hatte. Doch bis der Elektroantrieb als ernsthafte Alternative vorgestellt werden konnte, galt es, Überzeugungsarbeit im eigenen Hause zu leisten, Vorurteile abzubauen, aber auch das antriebstechnische Umfeld näher zu erforschen. Grundsätzlich sprachen jedoch einige wesentliche Punkte aus dem Pflichtenheft für das neue elektrische Antriebskonzept: Hier ging es nach den mit den Verbrennern gemachten Erfahrungen zu allererst um Zuverlässigkeit, einfache Bedienbarkeit und auch schon um Geräuschreduktion. Zudem war schnell klar, dass ein Segelflugzeug durchaus mit dem Manko der begrenzten Reichweite des Energiespeichers klar kommen könnte, ging es doch allein um eine Start- und Rückkehrhilfe und weniger um die Bewältigung großer Flugstrecken aus eigener Kraft. LF-20E – der Technologie-Erprobungsträger Als Konstrukteur der DG-800 bei Glaser-Dirks sowie bei der Weiterentwicklung der DG-600 hatte Axel Lange bereits selbst Erfahrungen mit Hochleistungssegelflugzeugen gesammelt. Und deshalb war dem leidenschaftlichen Flugzeugentwickler von Anfang an klar, dass es mit einem leistungsfähigen Antrieb nicht getan sein würde. Das Fluggerät selbst musste sich den neuen Herausforderungen anpassen. Die hierzu nötigen Erfahrungen sollte dann die LF-20E liefern, ein Technologie-Erprobungsträger, der allerdings nicht unbedingt als Prototyp der heutigen Antares bezeichnet werden kann. Sie basierte auf der DG-800, wurde aber konsequent auf das elektrische Antriebskonzept ausgerichtet. Von Anfang an setzte man bei Lange in starkem Maße auf die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Forschungsinstituten. In der HTL Biel entstand dann auch schon Ende des letzten Jahrhunderts unter der Regie der Professoren R. Janneret und A. Vezzini jener 42-kW-Außenläufermotor, der bis heute das Herz des Antares-Antriebs darstellt und der erste und derzeit einzige Elektromotor mit EASA-Zulassung als Flugmotor ist. Er bringt mit 216 Newtonmeter (Nm) Drehmoment und einem Wirkungsgrad von deutlich über 90 Prozent alle Voraussetzungen für eine optimale Energienutzung mit. Die vielpolig konzipierte, bürstenlose Gleichstrommaschine konnte – das war damals völlig neu – im Direktantrieb das Drehmoment für einen vergleichsweise großen Zweiblattpropeller von 2.000 Millimeter liefern. Dieser war bei der DLR Braunschweig unter Dr. M. Hepperle entwickelt worden. Das auf Magnetsensoren basierende System macht auch eine Schrittsteuerung sowie statische Abbremsung des Rotors möglich. Eine unabdingbare Voraussetzung, um den Propeller so zu positionieren, dass er beim Einfahren auch wirklich ungestreift im Rückenschlitz des Rumpfes verschwindet. Dazu musste ein spezieller Motorcontroller entwickelt werden, der neben seiner Hauptaufgabe als Wechselrichter auch noch derartige „Nebenjobs“ beherrscht. Der Motor zeigt einen ringförmigen Querschnitt, wird also während des Betriebs auch von innen (statorseitig) von Kühlluft durchströmt. Gleichwohl, dies räumt Ingenieur Lange ein, reicht dies nicht für den Dauerbetrieb mit voller Leistung aus – das bekannte Grundproblem aller elektrischen Außenläufermaschinen. Schließlich sind es bei Vollstrom nahezu 4 kW Verlustleistung, welche die Temperatur in den Wicklungen und Eisenzähnen des Stators in die Höhe treibt. In diesem speziellen Anwendungsfall erteilt jedoch die Antriebsbatterie mit ihrer begrenzten Kapazität die nötige Absolution, weil sich selbst bei Entladung in einem Zug die Wärmekapazität des Motors als ausreichend groß erweist. Das Motormanagement steuert das Drehmoment und begrenzt die Drehzahl, limitiert zur Schonung des Propellers auch die Beschleunigung beim Motorstart. Schlussendlich erreichte die LF-20E damit ein Steigen bis 4,4 Meter pro Sekunde. Verständlicherweise war das Energiespeicherproblem Ende der 1990er-Jahre noch mit zahlreichen Fragezeichen versehen. Die Nickel-Metallhydrid- (NiMH) -Technologie war im Erblühen. Diese Akkus boten gegenüber dem bei Umweltschützern in Ungnade gefallenen Nickel-Cadmium-Vorläufer zwar einen deutlichen Zuwachs an Energiedichte, galten aber im praktischen Betrieb als keineswegs pflegeleicht. Unbestritten führend waren zu dieser Zeit die Japaner (Panasonic). Sie sollten für den ersten Versuchsstart im Jahre 1999 auch die Antriebsakkus liefern. Die gespeicherte Energie ermöglichte eine maximale Steighöhe von 1.900 Meter über Grund und stellte so die Richtigkeit des Konzepts schon recht eindrucksvoll unter Beweis. Die Akkus wurden bereits bei der LF 20E in den Flächen untergebracht, als 4,5 Meter lange, flexible Batteriestangen, die vor dem Holm eingebaut und nur innen festgemacht sind, um so den Bewegungen der Flächen folgen können. Auf diese Weise wird dann auch die Rumpfstruktur von der Stromspeichermasse entlastet. Da sich die Akkustangen nach dem Lösen weniger Schrauben als Ganzes herausziehen lassen, ist somit auch die Servicefrage verrenkungsfrei handhabbar. Der Energiewende Jahre voraus Natürlich war schon damals ersichtlich, dass man es bei NiMH-Akkus mit einer Interimslösung zu tun hatte. Die große Hoffnung ruhte bereits auf den Lithium-Batterien. Indes, so Axel Lange, waren die Versprechen der Batteriehersteller hinsichtlich zuverlässiger und bezahlbarer Stromquellen auf Lithium-Ionen- (LiIon-) -Basis ein Quell permanenter Enttäuschungen. Lediglich der Batteriehersteller SAFT hatte im westfranzösischen Poitiers die Forschung an der hoffnungsvollen Zukunftstechnologie weiter vorangetrieben. LiIon-Akkus wurden damals vor allem für Spezialanwendungen im militärischen Bereich entwickelt. Die europäische Autoindustrie hingegen beschäftigte sich zur Jahrtausendwende allenfalls mit diesbezüglichen Alibi-Konstrukten. Hätte Lange-Aviation nicht mit Abnahmegarantien Energiezukunft gespielt, SAFT hätte die Lithium-Produktlinie damals möglicherweise wegen zu geringer Nachfrage eingestellt. So verfügt die Antares 23E wie auch schon das Vorgängermodell 20E – Gewinner des Berblinger Preises 2011 – nun mit einer LiIon-Batterie, bestehend aus 72 in Serie geschalteten SAFT VL41M-Zellen (41 Amperestunden) über eines der modernsten Batteriesysteme. Inzwischen findet diese Zelle auch anderweitig bei militärischen Projekten (Drohnen) und selbst im Airbus 380 Verwendung, sodass die Weiterproduktion bis auf Weiteres außer Frage steht. Freilich gab es mit dem von den Franzosen mitgelieferten, eher einfach (und billig) gehaltenen elektronischen Batteriemanagement noch einige Nüsse zu knacken. Die Zellen, welche wieder als 3,3 Meter lange flexible Stangen in der Flächennase liegen, werden von Heizfolien umhüllt, um sie bei Außentemperaturen unter 15 Grad Celsius (°C) bei „Arbeitslaune“ zu halten. Als ideale Arbeitstemperatur gelten 20 bis 26°C. Normalerweise stellt das Ladegerät zum Ende der neunstündigen Ladephase diese Heizenergie zusätzlich zur Verfügung. Sie kann aber auch der Batterie selbst entnommen werden, was dann natürlich die Gesamtsteighöhe begrenzt. Letztere liegt nun bei 3.000 Meter über Grund und kann auch „scheibchenweise“ abgerufen werden. Wird die Energie allein für den Horizontalflug genutzt, so reicht die Antriebsleistung, um in einer Zeit von eineinhalb Stunden bis zu 220 km zurückzulegen. So sind Axel Lange bislang keine ungewollten Fremd- oder gar Außenlandungen zu Ohren gekommen. Gleichwohl, das Ladegerät ist trotz aller Leichtbaubemühungen fest im Rumpf eingebaut. Das Batteriesystem kann somit an jeder einfachen 230-V-Steckdose auch „fremd“ aufgeladen werden. Die inzwischen schon einige Jahre währenden Erfahrungen mit den LiIon-Zellen von SAFT stellt Axel Lange als äußerst positiv dar. Es ist die Rede davon, dass selbst nach sieben Jahren an den LiIon-Akkus noch keine erkennbare Degeneration festgestellt werden konnte. Allerdings lautet die Empfehlung, die Zellen nur bis 4,0 V aufzuladen und in diesem Zustand auch zu lagern. So bleibt gewährleistet, dass auch während mehrmonatiger Flugpausen die Zellenspannung nicht unter den kritischen Wert von 2 V absinkt. Zwar sind sich die Antares-Konstrukteure darüber bewusst, dass eine Aufladung bis 4,1 V wohl einen 18-prozentigen Energiezuwachs bescheren würde. Die zu erwartende Lebensdauer, welche SAFT inzwischen mit acht bis elf Jahren angibt, und die mögliche Zyklenzahl, firmenseitig inzwischen mit fantastisch anmutenden 4.500 beziffert, würde sich aber drastisch reduzieren. Stimmiges Gesamtkonzept Immer wieder betont Dipl. Ing. Lange, dessen Firma derzeit 35 Mitarbeiter beschäftigt, dass die Wahl der Antriebskomponenten erst die halbe Miete sei. Es reiche eben nicht, das Motorprinzip zu wechseln und den Benzintank durch einen Akku zu ersetzen. Daher wurde das Konstruktionsdesign der Antares-Reihe konsequent auf das neuartige Antriebskonzept ausgerichtet, wobei natürlich der Leichtbau eine herausragende Rolle spielt. So wiegt der nahezu hundertprozentig aus Kohlefaser aufgebaute Rumpf gerade mal 42 Kilogramm; inklusive vorne integrierter Sicherheitszelle, die einer Crash-Belastung bis zum achtfachen der Erdbeschleunigung (8 g) standhalten soll. Hier wurde mit dem Rückgriff auf Erfahrungen aus der Formel-1-Technik für den Piloten eine Art Survival-Zelle für den Fall der Fälle geschaffen. Gleichwohl sind auch aktive Sicherheitssysteme signifikante Bestandteile des ganzheitlichen Flugzeugkonzepts. Beispielsweise erfolgt das Ausfahren des Triebwerks hydraulisch. Die Druckpumpe wird von einem 12-V-Plettenberg-Motor mit 400 W Leistung angetrieben. Das Ganze passiert mit neun Sekunden Gesamtdauer wesentlich schneller, als dies bei den marktüblichen Spindeltrieben möglich wäre. Damit verliert der Segelflugpilot, bei dem ja oftmals auch die Hoffnung auf das rettende „Bärtchen“ erst ganz zuletzt stirbt, unter normalen Verhältnissen nicht mal 10 Höhenmeter, ehe sich der rettende Schub im Rücken einstellt. Und sollte in Extremsituationen doch mal Panik aufkommen, legt man bei Lange-Aviation Wert darauf, dass die zur Inbetriebnahme des Triebwerks nötigen Handgriffe sich an intuitivem Verhalten in Stresssituationen orientieren. Daher auch die praktische Einhebelbedienung auf der linken Cockpitseite, mit welcher in zwei Stufen, aber in einer Bewegungsrichtung (nach vorne) das Triebwerk ausgefahren und der Motor gestartet werden kann. Sicherheit hat also oberste Priorität. Axel Lange ist deshalb auch beunruhigt über den teilweise sehr legeren Umgang mit diesem Thema bei manntragenden Elektrofliegern aus dem UL-Bereich. Er fürchtet, dass Unfälle wie 2011 bei Yuneec in China dem Elektroflug einen lang andauernden Imageschaden zufügen könnten. Für eine flugklare Antares-23E sind derzeit übrigens 205.000,– Euro auf den Tisch zu legen. Das ist eine Menge Geld. Doch stecken in so einem Projekt eine Menge Forschungsleistungen. Bei einer Antares ist der Kunde zudem nicht Co-Experimentator, sondern erhält ein erprobtes Produkt mit Luftfahrtzertifikation. Die Frage nach dem nächsten Weihnachtsgeschenk wird sich ja wohl irgendwann stellen.