Der frühe Airliner

Für viele Flugzeugfreunde ist der Name De Havilland untrennbar mit dem legendären und schnellen, zweimotorigen Kampfflugzeug DH 98 Mosquito verbunden. Weniger bekannt ist dagegen, dass De Havilland in den 1930er-Jahren der bedeutendste englische Hersteller von Zivilflugzeugen war. Aus dieser Zeit stammt beispielsweise auch der zweisitzige Doppeldecker DH.82 Tiger Moth, von dem ab 1931 über 8.000 Exemplare gebaut wurden. Nach diesem Erfolg widmete sich De Havilland dem Bau größerer Flugzeugzeuge, wie der DH.89 Dragon Rapide. Die erste mehrmotorige Maschine der Firma De Havilland war die zweimotorige DH.84 Dragon aus dem Jahr 1932. Diese sechssitze Passagiermaschine wurde zunächst auf der Route London-Paris eingesetzt und war auf Anhieb ein Erfolg. Sie wurde insgesamt 115 mal gebaut und war ab Mitte der 1930er-Jahre bei zahlreichen kleineren Airlines im Einsatz. Speziell für den Einsatz im australischen Raum folgte der DH.84 Anfang 1934 die größere, viermotorige DH.86 Dragon Express, die bis zu zwölf Passa­giere aufnehmen konnte und überwiegend von Quantas zwischen Singapur und Brisbane eingesetzt wurde. An­­schließend war der robuste Passagierdoppel­decker auch in Europa und Afrika sowie dem Nahen und Fernen Osten im Einsatz. Krone der Schöpfung Der letzte Passagierdoppeldecker der erfolgreichen Dragon-Serie war dann die DH.89 Dragon Rapide, die am 17. April 1934 mit dem De Havilland Testpiloten H.S. Broad am Steuer zu ihrem Erstflug startete. Broad war auf Anhieb von der neuen Maschine begeistert und bescheinigte ihr exzellente Flugeigenschaften. Obwohl es sich bei der DH.89 im Grunde genommen nur um eine DH.84 mit stärkeren Triebwerken und verbesserten Leistungsdaten handelte, stellte sie dennoch die Krönung der Dragon-Serie dar. Im Gegensatz zur Ursprungsversion DH.84 konnte sie zwei Passagiere mehr befördern und ihre Reisegeschwindigkeit war von 175 auf 210 Stundenkilometer gestiegen. Letzteres verdankte sie nicht nur ihren neuen Triebwerken, sondern auch der aerodynamisch günstigeren Tragflächenform und den stromlinienförmigen Fahrwerksverkleidungen, die De Havilland von der größeren, viermotorigen DH.86 übernommen hatte. Die Dragon Rapide weist zwar ein relativ kleines Cockpit mit nur wenigen Instrumenten und Platz für nur einen Piloten auf, aber dafür bietet die relativ großzügige Cock­pit-Verglasung eine ausgezeichnete Sicht. Beim Gas­gegeben beschleunigt der zweimotorige Doppeldecker – selbst nach heutigen Maßstäben – recht zügig und hebt nach relativ kurzer Rollstrecke ab. Im Flug ist der Luft­widerstand der Dragon Rapide erstaunlich gering. Die Steuerkräfte fallen angenehm niedrig aus und die Ruder­reaktionen kommen direkt und verzögerungsfrei – wie bei heutigen, zweimotorigen Leichtflugzeugen. Weltenbummler Nach Erteilung der Zulassung durch die Luftaufsichts­behörde wurde der Prototyp dann an den Schweizer Betreiber Ostschweiz AG verkauft und im Linienverkehr zwischen Zürich und Bern eingesetzt. Später setzte dann auch die Swissair insgesamt drei De Havilland DH.89 Dragon Rapide ein, die zwischen 1937 und 1954 für Flüge zwischen Österreich und der Schweiz ihren Einsatz verrichteten. Eine weitere Vorserienmaschine wurde von De Havilland für den Langstreckeneinsatz umgebaut und nahm 1934 am MacRobertson Trophy Air Race von London nach Melbourne in Australien teil, wobei sie immerhin den fünften Platz erringen konnte. Im Juli 1936 hat sich eine Dragon Rapide dann sogar einen Platz in den Geschichtsbüchern erobert, indem sie den späteren spanischen Diktator Francisco Franco im Auftrag des britischen Geheimdienstes MI6 von den Kanaren nach Spanisch Marokko brachte. Von dort aus organisierte Franco den Militärputsch gegen die damalige Regierung, der schließlich zum Spanischen Bürgerkrieg führte. Diese dramatischen Ereignisse stehen übrigens auch im Mittelpunkt des ebenfalls spanischen Kinofilms „Dragón Rapide“ aus dem Jahr 1986, in dem auch das gleichnamige Flugzeug zu sehen ist. Bis 1939 wurden insgesamt 205 Dragon Rapide pro­duziert, die an Airlines in der ganzen Welt geliefert ­wurden, die die niedrigen Betriebskosten und einfache Wartung der DH.89 schnell zu schätzen lernten. Auch bei den Passagieren war die Maschine sehr beliebt, da der Lärmpegel in der recht komfortabel eingerichteten Kabine für damalige Verhältnisse relativ niedrig war. Facelifting Ab der 60. Maschine flossen einige Modifikationen in die DH.89 Serie ein. Dazu gehörten beispielsweise dickere Randbögen, größere Kabinenfenster und eine Kabinen­heizung. Auch der auffällige Landescheinwerfer im Bug, mit dem fast alle heute noch fliegenden DH.89 ausge­­rüstet sind, gehörte zu diesen Neuerungen. Später kamen noch zwei kleine Landeklappen links und rechts der Trieb­werks­­gondeln hinzu, die den Piloten ein sanfteres Aufsetzen ermöglichen. Aus der DH.89 wurde damit die DH.89A. Aus luftfahrthistorischer Sicht erscheint es heute etwas seltsam, dass die Dragon Rapide nur ein Jahr vor der amerikanischen Douglas DC 3 geflogen ist und trotzdem ein Erfolg wurde. Immerhin wirkt die DC 3 nicht nur wesentlich moderner und eleganter als der archaisch ­aussehende Doppeldecker DH.89, sondern kann als Passagiermaschine auch viermal soviele Fluggäste aufnehmen. Beim Vergleich zwischen DH.89 und DC 3 muss man sich jedoch vor Augen halten, dass die ­britische Insel nur gut 900 Kilometer lang ist und ­rentable Inlandsflüge daher auch mit kleinen Flugzeugen möglich sind, während im weitläufigen Nordamerika – wo Großstädte tausende von Meilen auseinanderliegen – von Anfang an echte Langstreckenmaschinen mit entsprechender Ausstattung wie Toiletten und Liegesitzen benötigt wurden. Militärdienst Im Juli 1939 bestellte auch die britische Royal Air Force (RAF) drei Dragon Rapide, die bei der Pilotenausbildung als Navigationstrainer vorgesehen waren. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde die DH.89 dann zusätzlich auch als leichtes Verbindungs- und Transport­flugzeug eingesetzt. Die archaische Bauweise der Dragon Rapide war in Kriegszeiten plötzlich von entscheidendem Vorteil, denn durch die Verwendung von Sperrholz und Segeltuch wurde beim Bau kein wertvolles „strategisches“ Material wie Alu­minium benötigt. In den nachfolgenden zehn Jahren bestellte die RAF daher mehr als 500 weitere Maschinen, die als DH.89B Dominie bezeichnet wurden. Die Dominie unterschied sich äußerlich von der kommerziellen Version der Dragon Rapide hauptsächlich durch eine ringförmige Peilan­tenne auf dem Kabinendach, sowie zwei durch den Fahrtwind angetriebene Stromge­neratoren zur Versorgung der zusätzlichen Funk- und Navigationsanlagen. Als Antrieb der Dominie kamen die nochmals verbesserten Gipsy Queen-Motoren zum Einsatz. Da sich De Havilland nach Kriegsausbruch auf die Produktion des DH.98 Mosquito Schnellbombers konzentrieren musste, übertrug man die komplette Dragon Rapide-Fertigung an den Omnibus-Hersteller Brush Coachworks in Loughborough. Dies führte naturgemäß zu einigen Schwierigkeiten, doch nachdem diese überwunden waren, lieferte der Bushersteller insgesamt 335 DH.89B Dominies an die britischen Streitkräfte, wo der zweimotorige Doppeldecker inzwischen auch von der Navy als VIP-Transporter eingesetzt wurde. Gegen Ende des Krieges setzte man die robusten Dominies auch zunehmend für Verbindungsflüge ins besetzte Belgien und nach Holland ein. Ab 1944 flogen DH.89B sogar täglich nach Brüssel und die neu aufgestellte belgische Luftwaffe übernahm dann 1946 sieben dieser bewährten Verbindungsflugzeuge, die während des Kriegs tapfer den Kontakt zu den verbündeten Briten gehalten hatten. Abenteuer in Palästina Als sich 1948 der Konflikt zwischen dem neugegrün­deten Staat Israel und dem benachbarten Palästina zuspitzte, entsandte die UN im August neutrale Ver­mittler in die Krisenregion. Zu ihrem Transport wurden von Großbritannien fünf ehemalige RAF DH.89 Dominies zur Verfügung gestellt, die inzwischen von der BOAC betrieben wurden, während die Besatzungen von der niederländischen KLM stammten. Zwei der fünf KLM-Piloten hatten bereits während des Kriegs englische Dominies geflogen, die dann später von der niederlän­dischen Luftwaffe übernommen worden waren. Die drei übrigen Piloten konnten jeweils nur zehn Flugstunden auf DH.89 vorweisen. Um ihre Neutralität hervorzuheben wurden die fünf Dominies komplett weiß gestrichen und erhielten zudem zivile, englische Kennzeichen sowie die Nummern 1 bis 5 auf den Seitenleitwerken. Zwei der Dominies kamen direkt aus Amsterdam und waren für den UN-Einsatz extra mit Zusatztanks versehen worden, während die drei anderen von London aus starteten. Die erste Etappe der Friedensmission ging von Amsterdam nach Paris, wo die Besatzungen die erste Nacht verbrachten. Dann ging es weiter nach Marseille, wobei die drei Maschinen ohne Zusatztanks einen Tankstopp in Lyon einlegen mussten. Über Pisa und Rom gelangte man an die Ostküste nach Brindisi. Nach einem kurzen Flug über das ägäische Meer kamen die fünf Dominies dann wohlbehalten in Araxos an, wo sie per Pferdewagen betankt wurden. Nach dem Weiterflug nach Rhodos folgte dann die gefährlichste Etappe der Reise, nämlich die Überquerung des Mittelmeers in östliche Richtung nach Zypern. In Anbetracht der schlechten einmotorigen Flugleistungen der DH.89 ein echtes Risiko für die Besatzungen. Doch auch diese Etappe konnte ohne Zwischenfälle gemeistert werden, sodass schließlich alle fünf Dominies nach einer siebentägigen Reise wohlbehalten in Beirut ankamen. Am nächsten Tag wurden die englischen Kennzeichen der Dominies vor Ort überlackiert und stattdessen in großen Buchstaben die Abkürzungen UN aufgetragen. Es stellte sich allerdings schnell heraus, dass nur die ­beiden Dominies G-AGWP und G-AKOP mit den Zusatz­tanks wirklich für UN-Einsätze geeignet waren. Diese beiden Maschinen führten dann im Auftrag der UN ­einige wenige VIP-Flüge nach Kairo, Alexandria und Jerusalem aus. Ende September wurde der ganze UN-Einsatz abgebrochen und die Dominie traten ihren beschwerlichen Heimflug an. Einer der damals beteiligten Piloten erklärte später, dass nach manchen Etappen nur noch so wenig Sprit im Tank war, dass es gerade noch zum Auffüllen eines Benzin-Feuerzeugs gereicht hätte. Dominies im Kongo Im Vergleich zu den Niederlanden setzten die Belgier nach dem Zweiten Weltkrieg noch wesentlich mehr DH.89 Dominies ein und zwar überwiegend in der ­damaligen Kolonie Kongo. Trotz primitiver Umwelt- und Wartungsbedingungen, sowie zahlreicher feindlicher Übergriffe seitens der Kongolesen überlebten dort viele dieser Maschinen bis in die späten 1950er-Jahre. 1960 kamen dann die beiden letzten Dominies im Kongo an, von denen eine bereits beim früheren UN-Einsatz in Palästina mit dabei gewesen war und anschließend von den Holländern an Belgien verkauft wurde. Diese Maschine gehörte zu den wenigen Dominies, die in Afrika von Unfällen verschont blieb und zuletzt noch von der afrikanischen Fluggesellschaft Cogeair in Kinshasa betrieben wurde. Die letzten Drachen Von den zahlreichen belgischen DH.89 ist leider nur ein einziges Exemplar erhalten geblieben und steht heute im Armee-Museum in Brüssel. Es handelt sich dabei um die Ex-RAF-Maschine Nr. 6458, die in Belgien noch bis 1970 zum Absetzen von Fallschirmspringern genutzt wurde. Auch in Holland hat eine DH.89 im Museum überlebt und in Deutschland gibt es sogar noch eine flugfähige Dragon Rapide. Die meisten Überlebenden der legen­dären Drachenfamilie findet man jedoch naturgemäß in England, wo sie seit nunmehr 75 Jahren ununterbrochen fliegen und hoffentlich auch noch viele weitere Jahre über den Himmel streifen werden.